Wieviel Gödel und Turing muss sein?
Wir brauchen mehr Grundlagenreflexion in der Ausbildung junger
WissenschaftlerInnen
Stefania Centrone & Klaus Mainzer
Im 21. Jahrhundert ist die Digitalisierung eine globale Herausforderung der Menschheit.
Spätestens seit Data Mining und Big Data ist der Öffentlichkeit klar, wie sehr unsere Welt
von Daten und Algorithmen beherrscht wird. Manche glauben, dass es nur noch auf schnelle
Algorithmen ankommt, um Lösungen von Problemen in Technik und Wirtschaft zu
finden. Aber bereits die Finanz-‐ und Weltwirtschaftskrise von 2008 hing wesentlich mit falsch
verstandenen Grundlagen und Voraussetzungen von mathematischen Modellen und
Algorithmen zusammen
Gefährlich wird es besonders dann, wenn wir uns blind auf Algorithmen wie Kochrezepte
verlassen, ohne ihre theoretischen Grundlagen und Anwendungs-‐ und Randbedingungen zu
kennen. Dafür ist der gegenwärtige Hype in Künstlicher Intelligenz ein Beispiel. Nur wer die
Theorie kennt, kann allgemeingültige Sätze und Theoreme über die Leistungsfähigkeit und
Grenzen dieser Algorithmen beweisen. Das war den Logikern und Computerpionieren von
Gödel bis Turing wohl bewusst.
Verantwortungsfragen sind also eng mit Grundlagenfragen verbunden. Trotzdem
werden Logik und mathematischer Grundlagenforschung sowie wissenschaftstheoretische
Grundlagenreflektion auf algorithmische Methoden in den verschiedenen Wissenschaften
kaum betrieben. Warum sollten wir uns damit aufhalten, wenn der internationale
Wettbewerbsdruck schnelle Erfolge zu erzwingen scheint? Aber technische Innovation und
wirtschaftliche Effizienz der KI reichen nicht aus. KI-‐Technologie wird unsere Lebens-‐ und
Arbeitswelt dramatisch verändern. Qualität, Sicherheit und Zertifizierung der Methoden
werden erst Vertrauen und Akzeptanz aufbauen. Der globale Wettstreit der
Gesellschaftssysteme (z.B. Chinesischer Staatsmonopolismus, US-‐amerikanische IT-‐Giganten,
europäische Marktwirtschaft mit parlamentarischer Demokratie) wird entscheidend davon
abhängen, mit welchen Qualitätsstandards wir uns in der KI-‐Welt positionieren.
Daher wird vorgeschlagen, das Thema von Grundlagenreflexion und Verantwortung in allen
Studiencurricula, die mit KI-‐Themen befasst sind, in passenden Lehrformaten abzubilden.
Gedacht ist daran, den Studierenden bis zu Postdocs aller Fakultäten, die sich mit KI-‐Themen
beschäftigen, in ihren Studiencurricula und in der Forschung Raum zu geben, um sich mit
methodischen Grundlagen und Verantwortung ihrer KI-‐Forschung beschäftigen zu können.
Diese Fragen müssen bereits im Studium integriert sein, so wie sie später in der Forschung
und Technikentwicklung von Postdocs berücksichtigt werden sollten. Nur so gelingt
nachhaltige Technikgestaltung.
Grundlagenreflexion und Verantwortungsfragen sollten also nicht als Innovationsbremsen
missverstanden werden. Sensibilisierung für diese Fragen fördern viel mehr
Innovationsvorteile wie größere methodische Sorgfalt, Rechtssicherheit und soziale
Akzeptanz von KI-‐Forschung in der Gesellschaft. Die Inhalte müssen an die konkreten
Grundlagen-‐ und Verantwortungsfragen der einzelnen KI-‐Studiengänge in
Informatik, Ingenieur- und Naturwissenschaften, Medizin, Wirtschafts‐,
Sozial- und Geisteswissenschaften anschließen.
Mit diesem Netzwerk fachübergreifender Lehrformate über Grundlagen und Verantwortung
in der KI-‐Welt soll auf nationale Initiativen der Länder, des Bundes und der
Wissenschaftsorganisationen reagiert werden. International wird dadurch der
Standortvorteil von Deutschland gestärkt: Deutschland sollte nicht nur in der KI-‐Innovation
stark sein, sondern auch Grundlagen-‐ und Verantwortungsfragen gemäß seiner großen
Tradition in Logik und Philosophie berücksichtigen.
Stefania Centrone ist eine in Deutschland tätige italienische Philosophin. Sie arbeitete an
verschiedenen Universitäten in Deutschland sowie als Senior Researcher an der Universität Helsinki.
Zur Zeit hat sie eine Heisenberg Stelle am Institut für Philosophie, Literatur-‐, Wissenschafts-‐ und
Technikgeschichte an der Technischen Universität Berlin, wo sie
mathematische Logik unterrichtet.
Klaus Mainzer ist emeritierter Gründungsdirektor des Munich Center for Technology in Society der
TU München, Seniorprofessor am Carl Friedrich von Weizsäcker Center der Universität Tübingen und
Mitglied des Steuerungskreises der KI-‐Normungsroadmap im Auftrag der Bundesregierung.